Urge Surfing: Eine Methode um auch den Pornokonsum einzudämmen?

Statt grauer Theorie gibt es heute einmal einen Artikel zu einer Strategie, die man ausprobieren kann, um einen Rückfall zu verhindern. Dabei handelt es sich um eine Methode namens Urge Surfing. Ich bin darauf schon kurz im Artikel Pornosucht Besiegen – Aber wie? eingegangen.

Urge heißt so viel wie Verlangen, während Surfing wenig überraschend mit Surfen übersetzt wird. Zusammengesetzt könnte man also sagen, dass auf dem Verlangen gesurft wird. Das hört sich komisch an, weiter unten erkläre ich aber, was das bedeutet.

Wie wir sehen werden ist diese Technik auch gut dazu geeignet, um sich über ein paar Punkte zum Verlangen (nach Pornografie, Alkohol etc.) an sich klar zu werden, die vorher vielleicht nicht im Bewusstsein waren.

Was ist Urge Surfing?

Der Begriff Urge Surfing wurde von Dr. Alan Marlatt geprägt. Dr. Marlatt war Psychologe und galt als einer der führenden Forscher zum Thema Suchtverhalten. Er beschäftigte sich aber nicht nur mit grauer Theorie rund um dieses Thema.

Was ihn vor allem interessierte war, wie Patienten ihre Probleme (meist Alkoholismus) überwinden oder ihren Alkohol-, Zigaretten- oder Drogenkonsum reduzieren können. Daher machte er sich Gedanken über verschiedene Verfahren zur Rückfallprävention (relapse prevention). Eines dieser Verfahren bezeichnete er als Urge Surfing.

Ich bin in den Artikeln Meditation bei Suchtproblemen – Was ist Meditation? sowie Kann Meditation bei Pornosucht helfen? bereits auf das Thema Meditation eingegangen. Im zweiten genannten Artikel haben wir gesehen, dass Meditation bzw. Achtsamkeitsübungen auch bei Sex- oder Pornosucht bereits erfolgreich angewendet wurden. Das hier beschriebene Urge Surfing kann man als eine Form der Meditation betrachten.

Wie geht man bei dieser Anti-Rückfall-Strategie vor?

Bei einer Meditation lenkt man seine Aufmerksamkeit beispielsweise auf den Atem, verschiedene Körperstellen oder ein Mantra. Hier liegt der Fokus auf dem Verlangen, wenn man beginnt, es zu spüren.

Dabei kann ich den Fokus auf folgende Merkmale legen:

  1. Spüre ich das Verlangen körperlich oder nur in Gedanken?
  2. Fall der erste Teil von Punkt 1 mit Ja beantwortet wird, wo verspüre ich das Verlangen?
  3. Bleibt das Verlangen immer gleich oder wird es stärker und schwächer?
  4. Welche Gedanken habe ich dabei?

Bei Punkt 1 und 2 kommt es beispielsweise vor, dass das Herz schneller schlägt, der Atem schneller geht oder man so etwas wie einen Adrenalinschub verspürt. Auf solche Dinge können wir dann achten.

Man setzt sich also einfach hin und beobachtet, wie sich das Verlangen äußert. Wie ein Wissenschaftler, der herausfinden will, wie etwas in der Natur funktioniert. Dabei setzt man sich nicht selbst unter Druck und wartet einfach nur ab, was passiert.

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum diese Technik nach dem Surfen benannt ist. Manchmal wird dazu geraten, dass man sich hierbei eine Wellenbewegung vorstellen soll. Statt einfach nur auf meinen Körper und meine Gedanken zu achten, stelle ich mir also Wellen vor. Wenn das Verlangen ansteigt, steigen die Wellen an, anschließend flachen sie wieder ab.

Wer es einmal ausprobieren will, muss auch nicht auf die ersten Gedanken an Pornos warten. Es geht auch erst einmal mit ganz alltäglichen und harmlosen Dingen wie, wenn es irgendwo juckt und man sich kratzen will. Ich kann mich dann hinsetzen und genau beobachten, wo es juckt und wie sich das Jucken entwickelt, und ob und wann es wieder abnimmt und ganz verschwindet.

Was ist das Ziel beim Urge Surfing?

Das Hauptziel erscheint zunächst einmal ganz klar: Nicht rückfällig werden. Das ist das Ziel bei jeder Strategie zur Reduktion von Suchverhalten. Ich will aber auch auf den Unterschied zur sogenannten Willpower-Methode hinweisen. Dort ist ein Verlangen etwas, das mittels Willenskraft bekämpft werden muss.

Beim Urge Surfing wird aber gar nichts bekämpft. Ich versuche das Verlangen nicht auf irgendeine Art zu unterdrücken (was mittel- und langfristig sowieso nicht funktioniert), sondern lasse es einfach so sein, wie es ist. Ich beobachte die verschiedenen Stufen (man könnte auch sagen: Wellen), wie es beginnt, ansteigt, wieder abebbt und schließlich ganz verschwindet.

Urge Surfing zeigt uns, dass das Verlangen nach etwas zeitlich begrenzt ist

Diesen Prozess zu durchlaufen lehrt uns zwei wichtige Erkenntnisse:

  1. Kein Verlangen dauert ewig. Es ist immer zeitlich begrenzt.
  2. Wir haben immer eine Wahl. Nur weil man ein Verlangen nach X hat (zum Beispiel Pornos schauen, eine Tüte Chips essen, den Chef anschreien etc.) bedeutet das nicht, dass man X auch machen muss. Man kann das Verlangen auch einfach bewusst wahrnehmen und nicht danach handeln.

Oder kurz zusammengefasst: Wenn ich ein Verlangen nach Pornos verspüre, kann ich einfach abwarten, bis es wieder verschwunden ist, und nichts Schlimmes ist passiert.

Wer ein Verlangen nach etwas spürt, empfindet was danach passiert oft als eine Art Automatismus. Es gibt einen Trigger, man spürt Verlangen, man öffnet eine Webseite und schaut Pornos. Wenn ich jetzt aber Urge Surfing durchführe und dann sehe, dass das Verlangen wieder abebbt und später ganz verschwindet, habe ich mir selbst bewiesen, dass es keinen Automatismus gibt. Sich bewusst zu werden, dass man immer eine Wahl hat, ist eine wichtige Erkenntnis auf dem Weg zur Besserung.

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